Kalkwerk Oker - eine Beschreibung von 1953


 


 

Kalkwerk Oker

Adolph Willikens Aktiengesellschaft

Das Werk, das seinen Sitz auf Harlingeröder Gebiet hat, betreibt die Gewinnung und Verarbeitung sowie den Verkauf von Kalk aus einem Kalkvorkommen, welches am Nordrand des Harzes einen sich in ost-westlicher Richtung erstreckenden Höhenrücken, den Langenberg, bildet. Die Kalkschichten entstanden einst aus den Überresten der Meeresfauna, als vor einigen hunderttausend Jahren das heutige Norddeutschland noch ein großes Meer war.

Im Jahr 1871 wurde das Werk als Familienunternehmen gegründet. In mühsamer Kleinarbeit stellten im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts die wenigen Belegschaftsmitglieder des jungen Betriebes mit den damals vorhandenen primitiven Mitteln den für die heimische Wirtschaft unentbehrlichen Dünge-, Bau- und Industriekalk her. Diese anstrengende und nicht ungefährliche Tätigkeit wurde von den ständig dem Wind und Wetter sowie der Steinschlaggefahr ausgesetzten Steinladern auch noch nach der Jahrhundertwende ausgeübt. Der aus der Wand gesprengte Kalkstein wurde mit Hämmern zerschlagen und den inzwischen stillgelegten Ring- und Schachtöfen sowie den Mühlen zum Brennen und Vermahlen zugeführt. Die so gewonnenen Fertigprodukte wurden mit eigenen Pferdegespannen nach dem 3 Kilometer entfernten Bahnhof befördert, wo sie verladen wurden.

Am 1. Mai 1923 wurde die Firma von dem damals alleinigen Inhaber Adolph Willikens sen. in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. In der Folgezeit wurde der Betrieb unter der Leitung von Adolph Willikens jun. modernisiert und ausgebaut. So wurde 1934 ein Sand- und Kieswerk zur Ausbeutung des im gleichen Gelände vorhandenen Kiesvorkommens als Schwesterbetrieb angegliedert. In den Jahren 1937 und 1939 wurden die Anlagen zur Herstellung von ungelöschtem und gelöschtem Baukalk umgebaut. Außerdem wurde in den Jahren 1938 und 1943 je ein neuer Hochleistungs-Schachtofen errichtet. Diesen werden die Rohkalksteine mittels einer Lorenseilbahn und eines Kübelschrägaufzuges zugeführt. Bei etwa 1300 Grad wird unter Entzug der Kohlensäure der Kalk gebrannt. Die Leistung der Öfen beläuft sich auf 200 Tonnen Stückkalk täglich. Um die Verarbeitungsanlagen möglichst gleichmäßig mit Material zu versorgen und die bis dahin unrationelle Handarbeit im Steinbruch abzulösen, entstand 1942 eine nach den modernsten Gesichtspunkten ausgerichtete Aufbereitungsanlage. Dieser werden die durch Sprengung gewonnenen Rohkalksteine bis zu den größten Steinbrocken entweder mit Bagger- und Lok-Betrieb oder im Schrapperbetrieb zugeführt. Ein großer Backenbrecher mit einer Maulweite von 2 x 1,5 Meter übernimmt die Zerkleinerungsarbeit, während eine durch ein 70 Meter langes Förderband verbundene Siebmaschine die Steine nach ihrer Größe klassiert. Die Steine der einzelnen Kornstufen werden siliert, so daß den nachgeschalteten Verarbeitungsanlagen stets Material zur Verfügung steht.

Nach 1945 wurden die vorhandenen Silo-Anlagen zur Aufnahme von Fertigprodukten erweitert. Damit ist das Werk im Gegensatz zu dem Saisonbetrieb früherer Jahre gegen Absatzschwankungen unempfindlicher geworden. Nach 1948 wurden die Anlagen zum Löschen und Sichten des gebrannten Kalkes für Bau- und Industriezwecke modernisiert. Die Einrichtung eines Laboratoriums war im Hinblick auf die weitgehende Mechanisierung des Betriebes, die ständige Verbesserung der Fertigerzeugnisse sowie in bezug auf die immer höher gewordenen Anforderungen der Verbraucher unerläßlich.

Für die reibungslose Bewältigung aller Bedarfsfälle stehen seit kurzer Zeit vollautomatische Absackanlagen mit einer stündlichen Leistung von 500 Sack zur Verfügung. Schnellste Abfertigung durch Lkw-Fuhrpark und ein eigenes etwa 3 Kilometer langes Anschlußgleis mit eigenen Lokomotiven und Wiegeeinrichtungen ist gesichert. So können täglich bis zu 70 Waggons, die vor allem mit Düngekalk beladen sind, herausgebracht werden. Lastzüge bringen in mehrschichtigem Verladebetrieb fortlaufend Baukalk nach den Baustellen Niedersachsens und Norddeutschlands, vor allem in die wieder aufzubauenden Städte. Die Gesamtkapazität des Werkes beläuft sich auf 1000 Tonnen Rohkalk täglich.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß sich das Kalkwerk Oker Adolph Willikens A.-G. im Laufe der Zeit zu einem der modernsten und leistungsfähigsten Kalkwerke in Norddeutschland entwickelt hat. Da durch die Zonengrenzziehung das Werk von dem bedeutensten Teil seines früheren Absatzgebietes abgeschnitten worden ist, bemüht sich die Leitung der Gesellschaft energisch darum, das verlorengegangene Gleichgewicht zwischen Kapazität und Absatz wieder herzustellen. Das Werk versucht damit, den rund 100 Belegschaftsmitgliedern, die in Harlingerode und Umgebung wohnen, ihren Arbeitsplatz zu erhalten.

aus: 900 Jahre Harlingerode, Harlingerode 1953


Briefkopf des Kalkwerks aus dem Jahr 1931

Sammlung: Klaus Reiter

 

Blick in den Steinbruch (2005)

 

Brecheranlage (2005)

 

 

Der noch erhaltene Schachtofen dürfte aus der Gründungszeit des Unternehmens stammen. Die Beschickungsbühne an der Spitze des Turms ist heute nicht mehr erhalten. (2007)

 

 

Zeichnung eines vergleichbaren Schachtofens. Hier ist die Beschickungsbühne gut zu erkennen. Der Ofen wurde von oben mit Kalk und Kohle versorgt. Der fertig gebrannte Kalk wurde am Fuß des Ofen entnommen.

 

Entnahmeöffnung für den gebrannten Kalk (2007)

Noch heute produziert das Unternehmen unter dem Namen Rohstoffbetriebe Oker GmbH & Co Düngekalke und Baustoffe. Branntkalk wird jedoch nicht mehr hergestellt. Zwei weitere Betriebe in Wendessen und Langelsheim ergänzen das Werk in Oker und erweitern die Produktpalette. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Homepage des Unternehmens.


Quellen:

900 Jahre Harlingerode, Harlingerode 1953

Henniger, Heidrich, Franck: Lehrbuch der Chemie, Teil 2 Ausgabe A, Leipzig 1928

http://www.rohstoffbetriebe.de


© Joachim Fricke 2013