Ansichtskarte der Vienenburger Kaliwerke von 1905 (Sammlung: J. Fricke) Der Höhenzug Harly, nördlich von Vienenburg (heute ein Ortsteil von Goslar), erstreckt sich parallel zum Harzrand über eine Länge von etwa 5,6 Kilometern und einer Breite von rund 1,5 Kilometern. Mit einer maximalen Höhe von 256 Metern prägt er die Landschaft in dieser Region. Vom Harz kommend, erreicht die Oker beim Klostergut Wöltingerode den Südrand des Harlys und folgt anschließend bis zum östlichen Ende des Höhenzugs seinem Verlauf. Am Ostrand des Harlys wendet sich der Fluss nach Norden. Während der Zechstein-Zeit, vor etwa 252 bis 245 Millionen Jahren, war das Gebiet des Harlys von einem flachen Meer bedeckt, welches nur zeitweise mit dem Ozean in Verbindung stand. Der Geologe Carl Ochsenius (1830–1906) formulierte im Jahr 1877 die sogenannte Barrentheorie. Eine „Barre“ bezeichnet eine Schwelle, die ein Binnenmeer oder eine Bucht vom offenen Ozean trennt. In diesem Gebiet verdampfte mehr Wasser, als über die „Barre“ zugeführt wurde. Während des Verdunstungsvorgangs kristallisierten die im Wasser gelösten Salze abhängig von ihrer Löslichkeit aus und lagerten sich am Meeresgrund ab. Zunächst bildeten sich Kalk und Gips, gefolgt vom Steinsalz, und schließlich, als so genannte „Edelsalze“, die Kalium- und Magnesiumsalze. Durch geologische Bewegungen wie Senkungen und Hebungen konnte dieser Vorgang mehrfach wiederholt werden. Diese Ablagerungen werden auch als Evaporite bezeichnet. Später wurden diese Salze von schwereren Sedimenten überlagert. Durch geologische Bewegungen und den Druck der darüber liegenden Schichten stieg das Salz, das sich unter Druck plastisch verhält und eine geringere Dichte aufweist, häufig nach oben und bildete so Höhenzüge. Dieser Vorgang wird als Salztektonik oder Halokinese bezeichnet. Neben dem Harly entstanden so auch die Asse und der Salzgittersche Höhenzug in dieser Region. Barrentheorie nach Carl Ochsenius Das sogenannte Minimumgesetz wurde erstmals im Jahr 1828 vom Agrarwissenschaftler Carl Sprengel (1787–1859) formuliert, doch später von Justus von Liebig (1803-1873) präzisiert und ist heute vor allem als „Liebigsches Minimumgesetz“ bekannt. Es fasst zusammen, dass das Pflanzenwachstum und somit der Ertrag durch die Ressource begrenzt wird, die im Verhältnis am wenigsten verfügbar ist. Durch intensive landwirtschaftliche Nutzung ist der Boden an Nährstoffen verarmt. Besonders Kalium stellt dabei ein Problem dar, da es von den Pflanzen aus den schwer löslichen Silikaten nicht mobilisiert werden kann. Minimumgesetz Die Saline Staßfurt, die um 1800 an Preußen verkauft wurde, erzielte nicht die gleichen Erträge wie die konkurrierende Saline in Schönebeck. Daher wurde zwischen 1839 und 1851 auf dem Salinenhof eine 581 Meter tiefe Bohrung durchgeführt, um das Steinsalzlager zu erschließen. Dabei wurden Bittersalze entdeckt, die die Gewinnung einer brauchbaren Sole zunächst unmöglich machten. Bereits im selben Jahr entschied man sich daher für die Abteufung zweier Schächte zur bergmännischen Salzgewinnung, da man erkannt hatte, dass die Bittersalze über dem Steinsalz gelagert waren. 1856 konnte schließlich reines Steinsalz gefördert werden. Das Bittersalz wurde mangels Verwendungsmöglichkeiten auf einer Halde entsorgt. Die beiden Schächte „von Manteuffel“ (Förderschacht) und „von der Heydt“ (Kunstschacht) waren ursprünglich nicht für die Kalisalzförderung vorgesehen. Erst um 1860, nachdem die Bedeutung der Bittersalze für die Herstellung von Düngemitteln erkannt wurde, begann man hier gezielt mit der Förderung von Kalisalzen. Seit dieser Zeit trägt die Stadt Staßfurt den Beinamen „Wiege des Kalibergbaus“. Die ersten Kalischächte in Staßfurt
Die Produkte aus Staßfurt lösten im Deutschen Reich einen regelrechten Kaliboom aus, vergleichbar mit dem Goldrausch in Alaska. Eine fehlerhafte Theorie von Ochsenius führte jedoch dazu, dass Lagerstätten südlich des Harzes erst deutlich später erschlossen wurden. Von Staßfurt ausgehend wurden nun zahlreiche Höhenzüge untersucht, deren Entstehung auf einen Salzstock zurückzuführen sein könnten. Zeitgenössische Kaliwerbung Der bereits im Bereich Bad Harzburg (Grube Friederike, Grube Hansa, Mathildenhütte) und in Goslar (Grube Großfürstin Alexandra) tätige Bergwerks- und Hüttendirektor Wilhelm Castendyck (1824–1895) beantragte im Oktober 1881 bei der Klosterkammer Hannover, die als Grundeigentümer fungierte, die Genehmigung für Bohrungen im Harly. In der Folge wurden 1883 durch sein Konsortium drei Bohrungen niedergebracht, von denen zwei das Salzlager in etwa 300 Metern Tiefe erschlossen. Das Konsortium legte nach Absprache mit dem zuständigen Grundeigentümer, der Klosterkammer Hannover, den Schachtansatzpunkt für das neue Kalibergwerk Vienenburg auf einem Plateau unterhalb der Überreste (Wälle) der ehemaligen Harlyburg fest.
Der wenige Meter unter dem Salzspiegel in etwa 230 Metern Tiefe gefundene Kainit erwies sich als wirtschaftlich besonders bedeutsam, da er lediglich gemahlen werden musste und sofort zum Verkauf bereitstand. Für die Verarbeitung wurden direkt auf dem Schachtgelände die erforderlichen Mahl- und Abfüllanlagen eingerichtet. Die Verarbeitung des in großen Mengen gelagerten Carnallits gestaltete sich hingegen deutlich komplexer. Das Doppelsalz wurde nach dem preußischen Bergbau-Ingenieur Rudolf von Carnall (1804–1874) benannt. Aufgrund seines hohen Anteils an Magnesiumchlorid sowie der Verunreinigungen durch Steinsalz (Natriumchlorid) war es jedoch für eine direkte Verwendung als Dünger ungeeignet.
Die Aufnahmen vom Clausthaler Fotografen William Zirkler (1869-1928) veranschaulichen, wie abenteuerlich der Salzabbau seinerzeit erfolgte. In der preußischen Provinz Hannover existierten damals keine Bergpolizeiverordnungen zum Schutz der Arbeitssicherheit. Die Abbaukammern erreichten Höhen von bis zu zehn Metern. Der abgebaute Abraum wurde später als Versatz eingebracht, weshalb in Vienenburg keine Halden sichtbar sind. Zu Beginn erfolgte die Streckenförderung mit Pferden, ab 1904 kamen auch Elektrolokomotiven zum Einsatz. Das Sprengen erfolgte mit Sprengsalpeter, einer schwarzpulverähnlichen Mischung aus Natriumnitrat, Braunkohlenstaub und Schwefel. Als im Ersten Weltkrieg die Vorräte an diesem Material knapp wurden, erfolgte der Umstieg auf flüssigen Sauerstoff, der in Kohlenstoffpatronen eingesetzt wurde. Erst im Jahr 1887 wurde die Gewerkschaft Hercynia gegründet, die das Bergwerk vom genannten Konsortium übernahm. Nach preußischer Gesetzgebung war eine Gewerkschaft verpflichtet, über Grundeigentum zu verfügen. In der Provinz Hannover wurde jedoch das Grundbesitzrecht vom Eigentümer – in diesem Fall der Klosterkammer Hannover – nur verpachtet, nicht übertragen. Um diese Hürde zu umgehen, wurde ein geschickter Trick angewandt. Die Gewerkschaft erwarb ein kleines Braunkohlebergwerk in der Nähe von Blankenburg und nahm ihren offiziellen Sitz in Wernigerode. Wie bereits erwähnt, gestaltete sich die Verarbeitung des in großen Mengen vorhandenen Carnallits deutlich aufwändiger. Bei diesem Verfahren entstanden größere Mengen magnesiumchloridhaltiger Endlaugen, die entsorgt werden mussten. Da das Land Braunschweig die in diesem Zusammenhang anfallenden Salzmengen – die zudem noch mit dem im Bau befindlichen Kaliwerk Thiederhall geteilt werden mussten – in der Oker nicht akzeptierte, wurden die Fabrikanlagen im Jahr 1886 nach Langelsheim verlegt, das etwa 17 Kilometer entfernt liegt. Ein Vorteil bestand darin, dass auch das zukünftige Werk in Langelsheim an die Bahnstrecke Vienenburg-Grauhof-Langelsheim angebunden war. Kalifabrik Langelsheim Ursprünglich war geplant, die Endlaugen in der Innerste zu entsorgen. Da jedoch die Städte Hildesheim und Hannover Bedenken gegen die Einleitung der Laugen äußerten – zumal die Innerste bereits durch den Bergbau im Oberharz belastet war – suchte man nach alternativen Entsorgungsmöglichkeiten. Schließlich wurde eine Versenkung der Endlaugen in Erdspalten am Kanstein in Erwägung gezogen. Hierfür wurde vom Werk eine Rohrleitung zum Kanstein verlegt und zwei etwa 30 Meter tiefe Schluckbrunnen gebohrt. Als 1889 in den Karstquellen von Alt Wallmoden und Baddeckenstedt Salzverunreinigungen festgestellt wurden, konnte rasch die Langelsheimer Kalifabrik als Verursacher identifiziert werden. Die betroffenen Gemeinden erhielten daraufhin eine finanzielle Entschädigung und es wurde eine neue Wasserversorgung für sie eingerichtet. In der Langelsheimer Fabrik wurde zur Verarbeitung des Carnallits das sogenannte Heißlöseverfahren angewandt, welches von Grünewald und Frank schon in Staßfurt praktiziert wurde und sich generell bei allen damaligen Kalifabriken durchgesetzt hatte. Beim Heißlöseverfahren nutzt man die unterschiedlichen Löslichkeiten der Salze bei variierenden Temperaturen aus. Während Magnesiumchlorid und Natriumchlorid nur geringe Unterschiede in ihrer Löslichkeit bei verschiedenen Temperaturen zeigen, verhält es sich beim zu gewinnenden Kaliumchlorid ganz anders. Eine bei Raumtemperatur gesättigte Lauge, die aus Magnesiumchlorid oder Carnallit hergestellt wurde, wird zunächst geklärt und anschließend in einem Wärmetauscher mit Dampf auf etwa 115°C erwärmt. In einem Lösekessel wird dann das gemahlene Rohsalz zugegeben. Da die Lösung bei dieser Temperatur bereits mit Magnesiumchlorid gesättigt ist, kann sie dieses nicht mehr aufnehmen. Im Gegensatz dazu löst sich Kaliumchlorid bei dieser Temperatur deutlich besser. Es bildet sich ein Bodensatz aus Magnesiumchlorid, Kiserit (Magnesiumsulfat), Gips (Calciumsulfat) und Kochsalz, der durch Filtration abgetrennt wird. Dieser Bodensatz wird weiterverarbeitet, aufgehaldet oder – wie in Vienenburg – zum Versetzen der Grubenbaue genutzt. Heißlöseverfahren Die geklärte Lösung wird anschließend in Kristallisationsbecken wieder auf Raumtemperatur abgekühlt. Dabei kristallisiert das Kaliumchlorid aus, das dann abfiltriert und durch Waschen mit Wasser (Decken) von anhaftender Mutterlauge befreit wird. Nach dem Trocknen entsteht das hochwertige Endprodukt Kaliumchlorid. Ebenfalls wurde aus den Salzen in Langelsheim Brom gewonnen, worauf hier aber nicht näher eingegangen werden soll. Im Jahr 1888 gehörte die Gewerkschaft Hercynia zu den Gründungsmittgliedern des sogenannten Kalisyndikats in Leopoldshall bei Staßfurt. Hier erfolgte die Festlegung von Preisen, Löhnen und Förderquoten der beteiligten Werke. Auch Werbung und Vertrieb wurden dort geregelt. Beim Fortschreiten des Abbaus in Richtung Westen entdeckte man in ca. 1000m Entfernung von Schacht 1 ein weiteres noch reicheres Kalisalzlager. Da es strukturell den Lagern im Raum Hannover entsprach, wurde es als Flöz „Ronnenburg“ bezeichnet. Zwischen 1894 und 1897 teufte man daher ca. 1500m westlich vom Schacht 1 den Schacht 2 ab, der den Namen „Hercynia“ erhielt. Als Endteufe wurden 453m erreicht, später wurde er auf 616m vertieft. Zwischen 300m und 600m Teufe wurden 6 Strecken aus- und vorgerichtet. Die nördlich vom Klostergut Wöltingerode errichtete Anlage erhielt ebenfalls einen Anschluss an die Bahnstrecke Vienenburg-Grauhof-Langelsheim. Mit der untertägigen Verbindung der beiden Schachtanlagen wurde die 1903 eingeführte gesetzliche Zweischachtverordnung vorab erfüllt. Fördergerüst Schacht "Hercynia" (Schacht 2) Auf dem Grubengelände wurden alle erforderlichen Bauten errichtet und nun erstmals auch eine Fabrik zur Verarbeitung von Kalisalzen. Betriebswasser wurde einem Brunnen entnommen, der sich direkt unterhalb der Anlage an der Oker befand. Der Schacht „Hercynia“ wurde nun zum Hauptförderschacht, während der Schacht 1 bevorzugt als Wetterschacht Nutzung fand. Alle Schachtanlagen verfügten über werkseigene Gleisanlagen und Anschluss an die Bahnstrecke Vienenburg-Grauhof-Langelsheim. Zum Einsatz kamen Lokomotiven des Herstellers Henschel. Belegt sind drei Exemplare. Es handelte sich um 3-achsige (C-Kuppler) Naßdampfmaschinen: 1. Henschel 1898/4808 2. Henschel 1898/4998 1960 noch in Bleicherode im Einsatz 3. Henschel 1900/5563
Der Aufbau des Flözes Ronnenburg wies eine andere Struktur auf. Während im Flöz „Staßfurt“ durchgehend eine Mächtigkeit von 16 Metern festgestellt wurde, erreichte diese im Flöz „Ronnenburg“ bis zu 35 Meter. Unterhalb des Salzspiegels fand sich hier das Mineral Sylvinit, das ebenfalls nach dem bekannten Heißlöseverfahren verarbeitet werden konnte. Dies ermöglichte den Betrieb einer Kalifabrik direkt am Schacht, da bei der Sylvinitverarbeitung nur geringe Mengen Abwasser anfiel, das in die Oker entsorgt werden konnte. Zudem wurde auch wieder reichlich Carnallit gefunden, der bis Anfang der 1920er Jahre weiterhin in Langelsheim aufbereitet wurde. Diese Ansichtskarte zeigt die Größe der neuen Schachtanlage mit der Sylvinitfabrik von Osten gesehen. Im Jahr 1906 war der Kalischacht Asse 1 abgesoffen. Um die dort neu errichtete Kalifabrik auszulasten, erhielt diese nun auch Salz aus Vienenburg. Ein weiteres gutes Geschäft. Als 1909 der Schacht Asse 2 fertiggestellt wurde, kamen dessen Salze nun mittels einer Seilbahn zur Fabrik am Schacht 1, wodurch Vienenburger Salz nicht mehr benötigt wurde. Der preußische Staat war ebenfalls Mitglied im Kalisyndikat, das die Interessen der Kaliindustrie bündelte. Um seinen Anteil und Einfluss innerhalb dieses Kartells zu festigen, entschied er 1906, das leistungsstarke Kaliwerk in Vienenburg zu erwerben. Für diese Transaktion zahlte er der Gewerkschaft Hercynia den beträchtlichen Betrag von 30,95 Millionen Reichsmark. Anschließend richtete der preußische Staat eine königliche Berginspektion in Vienenburg ein – die dritte ihrer Art nach Staßfurt und Bleicherode – und benannte das Werk in „Kaliwerk Vienenburg“ um. Um auch die reichen Carnallitvorkommen im Flöz Ronnenburg nutzen zu können und die teuren Transportwege nach Langelsheim zu vermeiden, unternahm das Kaliwerk im Jahr 1912 und nochmals 1915 den Versuch eine Einleitungsgenehmigung der Endlaugen in die Oker zu erhalten. Für die Verarbeitung des Carnallits in der bisherigen Sylvinit-Aufbereitung wären hierzu keine großen Veränderungen erforderlich gewesen.
Am 30. September 1918 erteilte die Behörde schließlich eine Genehmigung zur Einleitung der Endlaugen in die Oker gültig für 20 Jahre. Eine Auflage war das Ende der Einleitungen in die Schluckbrunnen am Kanstein in Langelsheim, dieses wurden 1922 eingestellt, was vermutlich auch das Ende der Produktion in Langelsheim bedeutete. Das Areal dort sowie einige Gebäude wurden 1927 an die Chemische Fabrik Dr. Siegel AG verpachtet. Was dort bis zur Übernahme durch die Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft mbH (WiFo) im Jahr 1936 produziert wurde, ist heute nicht mehr bekannt. Während des Ersten Weltkriegs sank die Fördermenge an Kalisalzen von 227.000 Jahrestonnen im Jahr 1913 auf 121.000 Jahrestonnen im Jahr 1914, was auf Arbeitskräftemangel und Kohlenknappheit zurückzuführen ist. Um fehlende Arbeitskräfte zu ersetzen, wurden auch rund 140 Kriegsgefangene eingesetzt. Nach Kriegsende erholte sich die Produktion jedoch wieder, und es kam zu einem weiteren Ausbau der Kapazitäten sowie zu einer Modernisierung der Anlagen. Anfang der 1920er Jahre erhielten beide Schachtanlagen neue Fördertürme in Stahlfachwerkbauweise mit Ziegelausfachung, die mit elektrischen Turmförderanlagen ausgestattet wurden. Diese waren ähnlich konstruiert wie der heute noch in Oelsnitz (Sachsen) museal erhaltene Turm des Kaiserin-Augusta-Schachtes. Warum dieser Aufwand auch bei Schacht 1, der bereits seit langem nur noch als Wetterschacht genutzt wurde, erfolgte, ist nicht abschließend geklärt. Bemerkenswert ist, dass der jeweils neue Turm um das alte Fördergerüst errichtet wurde, um die Förderung während der Bauphase ununterbrochen aufrechterhalten zu können.
Bau der Turmförderanlage von Schacht 1 Da sich der Abbau des Flözes Ronnenberg zunehmend nach Westen verlagerte, erhielt die Berginspektion die Genehmigung einen dritten Schacht etwa 2.300 Meter westlich von Schacht 2 abzuteufen. Seit 1921 galt eine Stilllegungsverordnung, die das Abteufen neuer Schächte untersagte. Unter der Bedingung, den Schacht 1 aufzugeben, wurde jedoch die Genehmigung für den Bau des dritten Schachtes erteilt. Dieser Schacht, der den Namen „Röhrig-Schacht“ nach dem ersten Generaldirektor der Preussag, Bergrat Dr. Arnold Röhrig, erhielt, wurde zwischen 1924 und 1928 errichtet und erreichte eine Teufe von 623 Metern. Vorerst sollte dieser Schacht als Wetterschacht dienen. Er erhielt zwar einen Gleisanschluss an die Werksbahnanlagen des Schachts 2, verfügte jedoch nur über wenige Gebäude auf dem Schachtgelände. Ein weiterer geplanter Schacht wurde nie realisiert.
Schacht 3 "Röhrigschacht" Während der Kainitgewinnung im Bereich des Schachtes 1 hatte sich der Abbau bis auf nur noch 6 Meter Abstand zum Salzspiegel vorgearbeitet. Bereits im Jahr 1886 traten westlich des Schachtes Zuflüsse einer gesättigten Salzlösung auf. Diese Mengen erschienen jedoch zunächst unbedeutend, da sie lediglich etwa 5 Liter pro Minute betrugen und die in den Buntsandstein getriebenen Strecken trocken waren. Daher machte man sich keine große Sorge darüber. Vierzig Jahre lang blieb dieser Zustand unverändert, bis sich 1926 die Zuflussmenge plötzlich auf rund 70 Liter pro Minute erhöhte und die Salzkonzentration auf die Hälfte gesunken war. Die zunächst an der 230-Meter-Sohle im Kainitabbau aufgetretenen Zuflüsse wurden inzwischen auch auf der zweiten Tiefbausohle im Carnallit bei 318 Metern Teufe festgestellt. Im Jahr 1927 wurde die Preußische Geologische Landesanstalt zur Beratung hinzugezogen. Nach entsprechenden Untersuchungen kam diese zu folgendem Schluss: “Nach den vorliegenden Erfahrungen kann es in Vienenburg 10 bis 20 Jahre dauern, bis die Katastrophe eintritt. Dass man sich jetzt schon auf dem Wege zur Katastrophe befindet, lässt sich kaum bezweifeln.“ Im Bereich des Buntsandsteins wurde an einer geologischen Verwerfung eine große Schlotte entdeckt, die mit Buntsandsteinschlamm gefüllt war und vermutlich die Quelle der Zuflüsse darstellte. In der Folge wurden verschiedene Schutzmaßnahmen ergriffen. Seit 1929 wurde das zulaufende Wasser über Rohrleitungen abgefangen um den Wasserzufluss zu kontrollieren. Zudem wurden Dämme in den Strecken zwischen den Schachtanlagen errichtet um im Falle eines Wassereinbruchs ein Übertreten in die Bereiche der Schächte 2 und 3 zu verhindern. Diese Arbeiten waren jedoch noch längst nicht abgeschlossen, als am 8. Mai 1930 die Wand zwischen der Schlotte und dem Grubengebäude brach. Ein geschätzter Bodendruck von 20 Bar lag auf der trennenden Schicht, was zum Bruch führte. Wasser und Schlamm ergossen sich in großer Menge in die Grube. Die Dramatik dieses Ereignisses wird anschaulich in einem Beitrag im „Heimatbuch der Stadt Vienenburg“ aus dem Jahr 1942 beschrieben. Wir arbeiteten in Schacht II auf der vierten Sohle und hatten keine Ahnung, dass im Schacht I am Vormittag das Wasser eingebrochen war. Die Wasserstelle, von der der Einbruch kam, war seit längerer Zeit bekannt. Es sind allerlei Versuche gemacht worden, um die Stelle dicht zu bekommen, was aber nicht gelungen ist. So gegen 2 Uhr kam ein starker Zugwind. In der sechsten Sohle ging das Licht aus. Dann kam Geruch von fauligen Wasser, gleichzeitig kam durch den Förderschacht das erste Wasser - zunächst nur wenig, dann aber starke Fluten. Man kann sich einen Begriff von der Menge des Wassers machen, wenn man bedenkt, dass der Gang der etwa 4 Meter breit und 2,20 Meter hoch ist, bis zur Hälfte von dem anflutenden Wasser gefüllt war. Ein Teil der Belegschaft flüchtete, besonders die jungen Leute und die, die noch nicht lange bei uns waren. Einige stiegen sogar im Schacht auf der Leiter hoch. Wer aber die Grube kennt, weiß genau, dass das Wasser so schnell nicht alles volllaufen lassen kann, da man von Schach II nach Schacht III fast eine Stunde unter Tage geht, dazu haben die vielen Abschläge noch einmal so viel Raum und der „hängende Stollen“ vermag auch viel Wasser aufzunehmen. Der Weg durch den Förderschaft war durch das Wasser gesperrt, wir mussten bis zum Schach III unter Tage gehen und sind alle - bis auf einen Leichtverletzten, der viel Mühe machte - gut zu Tage gekommen. Am schlimmsten hatten es die Maurer, die vom Schacht I bis zu Schacht III laufen mussten, teilweise bis an der die Brust im Wasser. Leid tut mir nur ein junges Pferd, ein Fuchs, der seit knapp einem Monat unter Tage war und ertrunken ist. Die ganze Maschinen, Motore sind im Wasser geblieben, teilweise waren sie ganz neu. Es dauerte bis zum 4. Juni 1930 bis das Wasser eine Höhe von 30m unter der Rasenhängebank vom Schacht 1 erreicht hatte. Nach dem Wassereinbruch führte der nachbrechende Buntsandstein in die geleerte Schlotte etwa 12 Stunden später zu einem großen Tagesbruch. Die anfängliche Größe dieses Bruchs wurde auf rund 450.000 Kubikmeter geschätzt. Infolge des Erdfalls rutschten der Verbindungsweg zwischen den Schachtanlagen sowie die Bahntrasse der Strecke Vienenburg-Grauhof in den Bruchbereich. Die verschraubten Gleise der Bahnlinie hingen über dem Trichter, während das Anschlussgleis zum Schacht 1 riss und ebenfalls in den Erdfall stürzte. Ein Hilfsgleis, das später verlegt wurde, um den Erdfall teilweise zu verfüllen, hing ebenfalls in der Luft, als am 26. Mai der Rand des Trichters erneut nachrutschte. Glücklicherweise blieb das Gebäude der Abzweigstelle des Werksgleises unversehrt, da es zu diesem Zeitpunkt besetzt war. Der Zugverkehr auf der, seit Ende des 19. Jahrhunderts ausschließlich für Güterzüge genutzten Strecke, wurde umgehend eingestellt, um ein weiteres Unglück zu verhindern.
Blick nach Westen Blick nach Osten, rechts das Hilfsgleis für die Vefüllungsarbeiten. Schätzungsweise 2 Millionen Kubikmeter Wasser strömten letztlich in das Grubengebäude, was zu einem deutlichen Absinken des Grundwasserspiegels in Vienenburg sowie im benachbarten Wiedelah führte. Dieser Wasserverlust verursachte mehrere Gebäudeschäden, unter anderem an der Zuckerfabrik in Vienenburg, sowie insgesamt 17 Erdfälle, beispielsweise an der Osterwiecker Straße. Ein größerer Kiesteich zwischen Harly und Vienenburg, heute bekannt als Vienenburger See, trocknete vollständig aus. Zudem versiegten die Grundwasserbrunnen in Wiedelah, so dass das Dorf eine Zeit mit Wasser per Lastwagen versorgt werden musste. Vienenburg erhielt sein Wasser über eine eigene Rohrleitung. Auch an der nahe dem Erdfall gelegenen Okerbrücke der Eisenbahn kam es zu einer Senkung um 18 Zentimeter.
In den darauffolgenden Monaten wurde der Erdfall so weit verfüllt, dass der Verbindungsweg zwischen den Schächten sowie die Bahnstrecke wieder instand gesetzt werden konnten. Für die Auffüllung wurde Altschotter der Reichsbahn verwendet, was sich noch heute durch den vergleichsweise geringen Bewuchs am alten Bahndamm erkennen lässt. Der restliche Teil des Trichters blieb unverfüllt, ist heute aber sehr stark zugewachsen.
Da das Kaliwerk nun nicht mehr zu retten war, wurden über 400 Arbeitskräfte freigesetzt. Einige fanden Arbeit in der näheren Umgebung, viele wechselten aber auch zum Kalibergwerk nach Bleicherode, welches ebenfalls im Besitz der Preussag war. Noch heute zeugt die „Vienenburger Straße“ in Bleicherode von diesem Exodus. Zwischen 1930 und 1932 nahm das stillgelegte Kaliwerk Kleinbodungen der Preussag nochmals den Betrieb als Ersatzwerk auf. Am 31. Dezember 1930 wurde der Betrieb des Vienenburger Kaliwerks rechtskräftig aufgelöst. Zwischen 1933 und 1936 wurde der Schacht 1 mit Mauerschutt (wahrscheinlich von den Gebäudeabrissen), Asche, Kies und Buntsandstein verfüllt. Der Schacht 2 folgte 1938 bis 1940. Die Verfüllung vom Schacht 3 erfolgte 1936 – 1937. Die Verfüllsäulen rutschten später noch nach, so dass erneut Material eingebracht werden musste. Alle Schächte erhielten einen Betondeckel als Verschluss. Insgesamt wurden 33800 Kubikmeter Material in die Schächte eingebracht. Während der NS-Zeit wurde auf dem Gelände vom Schacht 2 ein Arbeitslager für eine Werkzeugfabrik eingerichtet. Etwa 100 Zwangsarbeiter aus verschiedenen Nationen lebten hier. Einige wurden auch bei der Firma Sievers & Co. eingesetzt, welche südlich des Harlys Kies abbaute (heute Vienenburger See). Nach Kriegsende waren hier kurzzeitig „Displaced Persons“ untergebracht. Auch am Schacht 1 wurde ein Arbeitslager für Frauen eingerichtet. Später nutzte ein Altenheim Gebäude der Anlage. Aufgrund von Bauschäden wurden die Gebäude später abgetragen. Erst in den 1980er Jahren verschwand die Stützmauer, die das Werksgelände zum Hercyniaweg hin abstützte. Anfang der 1950er Jahre erwog die Preussag erneut den Aufbau einer neuen Kaliförderung in Vienenburg. Dabei spielte der Verlust der Werke auf dem Gebiet der ehemaligen DDR eine entscheidende Rolle. Es wurden mehrere Bohrungen durchgeführt, doch das Ergebnis entsprach nicht den Erwartungen, so dass die Pläne letztlich nicht umgesetzt wurden. Nach 30 Jahren machte sich die stillgelegte Bergwerksanlage noch einmal bemerkbar. Unterhalb vom Schachtgelände Schacht 2 entstand im September 1960 ein Erdfall im Flußbett der Oker, der auch heute noch gut sichtbar ist. Dabei wurde erneut der Bahndamm der mittlerweile stillgelegten und abgebauten Strecke Vienenburg-Grauhof beschädigt. Erdfall von 1960 Heute finden sich noch einige Reste der Schachtanlagen. Beim Schacht 1 ist der Verschluss des Schachtes mit dem dahinter liegenden Restgebäude der früheren Energiezentrale zu sehen, weitere Gebäude sind nördlich der Werksstraße noch vorhanden und werden zu Wohnzwecken benutzt. Südlich der Werksstraße steht noch das ehemalige Verwaltungsgebäude der Anlage. Schwer einzusehen ist die Villa des Bergwerksdirektors. Am Rand des großen Erdfalls hat sich ein Unternehmen angesiedelt, welches Motorradverkleidungen herstellt.
Auf dem eigentlichen Gelände der Schacht- und Aufbereitungsanlage von Schacht 2 sind heute keine Gebäudereste mehr zu erkennen. Der Verschluss des Schachtes ist stark verwachsen und nur in der Winterzeit zu erkennen. Das höher gelegene schöne Laborgebäude ist heute mit einem „Sichtschutz-Zaun“ versehen. Einige alte Wohngebäude für die Bediensteten werden weiter als Wohnungen genutzt. Schachtverschluss Schacht 2 Viele der über 400 Bergleute der Kalischachtanlagen wohnten im Vienenburger Stadtgebiet. Noch heute zeugt der Name „Schachtweg“ von einer kaum als solche zu erkennenden Bergwerkssiedlung. Diese Arbeiter mussten um zu den Werksanlagen, also zu ihren Arbeitsstätten am südlichen Harlyrand, zu gelangen die Oker und die Bahnlinie Vienenburg-Grauhof überqueren. Die Brücke über die Oker ist in modernisierter Form noch heute vorhanden, von der Brücke über die, seit Anfang der 1950er Jahre abgebaute Bahnstrecke zeugen heute nur noch Fundamentreste. Fußgängerbrücke über die Bahnstrecke Vienenburg-Grauhof Sehr gut erhalten und möglicherweise noch genutzt wird das ehemalige Pumpenhaus mit Grundwasserbrunnen unterhalb von Schacht 2 am Rand der Oker. Von hier wurde auch die Kalifabrik mit den nötigen Betriebswässern für Dampfkessel und Produktion versorgt. Der Erdfall von 1960 unter dem Bahndamm bei Schacht 2 ist noch heute gut im Bett der Oker zu sehen.
Mitten im Wald ohne jede Gebäudereste findet sich heute der Schachtverschluss vom Schacht 3. Er liegt rund 2,3 km östlich vom Schacht 2. Gut erkennbar ist außerdem noch der Bahndamm der Anschlussbahn. Schachtverschluss Schacht 3
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Quellen: Div. Autoren: KALI – Das bunte, bittere Salz, Leipzig 1990 Emons / Duchrow: Hercynia in Vienenburg, Sondershausen 2001 Fulda: Das Ersaufen der Kaliwerke Vienenburg, Hannoversche Kaliwerke und Wilhelmshall-Oelsburg, aus "Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im Deutschen Reich", Band 85 / Heft 3, 1937 Gebhard: Das große LAPIS-Mineralienverzeichnis, München 1979 Gebhardt: Kriegsgefangene des 1. Weltkriegs im Harzer Bergbau, aus „Unser Harz“ 6/2013 Hoffmann: Elf Jahrzehnte Deutscher Kalibergbau, Essen 1972 Hohnbaum: Heimatbuch der Stadt Vienenburg, Vienenburg 1942 Jacob / Kabitzsch: Die Gewinnung der Kalisalze, Berlin 1929 Knolle u.a.: Der Harly - Von Wöltingerode zum Muschelkalkkamm, Goslar 2008 Michels: Die Kalirohsalze – Ihre Gewinnung und Verarbeitung, Leipzig 1916 Müller: Geschichte der Stadt Vienenburg, Band 1+2, Vienenburg 1997/1999 Pilger: Exkursion von Goslar nach Wöltingerode und in den Harliberg, Clausthal-Z. 1984 Reuter: Schächte des Kalibergbaus in Deutschland, Sondershausen 2009 Slotta: Technische Denkmäler in der Bundesrepublik Deutschland 3, Bochum 1980 Recht herzlich möchte ich mich auch bei Herrn Dr. Friedhart Knolle, Goslar bedanken, der mir ausführliche Informationen über die Geologie, die Langelsheimer Kalifabrik und die Nachnutzung der Gebäude am Schacht 2 zur Verfügung gestellt hat. Abbildungen aus dem Archiv www.technikmuseum-online.de / Joachim Fricke |
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