Das Stahlhaus in Dessau-Törten

 

"Das neue Ziel dagegen wäre fabrikmäßige Herstellung von Wohnhäusern im Großbetrieb auf Vorrat, die nicht mehr an der Baustelle, sondern in Spezialfabriken in montagefähigen Einzelteilen erzeugt werden müssen."  (Walter Gropius 1925)

Die Idee zum Bau von Häusern aus vorgefertigten Teilen läßt sich bis in das Jahr 1516 zurückverfolgen, als Leonardo da Vinci (1452-1519) für König Franz I. von Frankreich Baupläne für neue Städte an der Loire entwickelt. Trotz verschiedener Ansätze in den folgenden Jahrhunderten, konnte sich diese Bauweise erst im 20. Jahrhundert durchsetzen.

Auslöser in Deutschland war die Wohnungsnot nach dem 1. Weltkrieg. So fehlten im Jahr 1921 im Deutschen Reich mehr als eine Million Wohnungen. Hohe Baukosten und das Fehlen zahlungskräftiger Mieter boten in dieser Zeit keinen Anreiz für den privaten Wohnungsbau.  In dieser Situation sahen sich die Kommunen gezwungen selbst zu Trägern des sozialen Wohnungsbaus zu werden. Dabei sollte eine Minderung der Baukosten durch Rationalisierung im Bauwesen erreicht werden. 

Diese Forderung griffen vor allem die Verfechter des so genannten "Neuen Bauens" auf, deren Ziele der Frankfurter Architekt Ernst May (1886-1970) als "die Vereinigung vollkommenster Zweckerfüllung mit knappster Form" definierte. Das 1919 in Weimar gegründete Staatliche Bauhaus schuf dann 1923 mit seinem Musterhaus "Am Horn" das erste realisierte Beispiel neuen Wohnens in Deutschland. Ausgehend von diesem Prototyp entstanden in den folgenden Jahren Wohnhäuser und Siedlungen. Vereinzelt experimentierten die Architekten dabei auch mit neuen Bautechnologien und -materialien.

In seinem 1926 erschienen Artikel "der große baukasten" beschreibt der Direktor Walter Gropius (1883-1969) des mittlerweile nach Dessau umgezogenen Bauhauses die Ziele der Rationalisierung:

  1. großzügige bebauungspolitik auf lange sicht.

  2. planmäßige trennung der verkehrs- und wohnstraßen (folge: verbesserung der verkehrsverhältnisse und verringerung der anliegerkosten, kanalisation und bewässerung).

  3. feststellung der sozial und wirtschaftlich günstigsten nutz- oder wohngärten.

  4. feststellung der sozial und wirtschaftlich günstigsten wohnform (etagenhaus, reihenhaus, doppelhaus, einzelhaus).

  5. bestimmung der sozial und wirtschaftlich günstigsten grundrisse.

  6. typisierung und normung ganzer häuser oder ihrer teile.

  7. anwendung neuer, raum- und materialsparender techniken und baustoffe.

  8. fabrikmäßige herstellung von wohnhäusern auf vorrat, die in spezialfabriken in montagefähigen einzelteilen, einschließlich decken, dächern, wänden, auf der grundlage der normung erzeugt werden.

  9. rationelle baubetriebswirtschaft auf der baustelle. montagefließarbeit nach vorbereitetem zeitplan. anwendung von rationellem groß- und kleingerät. anwendung mehrerer arbeitsschichten zur vollen ausnutzung des tageslichts. resultat: abkürzung der bauzeit, zins- und arbeitslohnersparnis.

  10. anwendung rationeller baupläne, die bis auf das letzte detail, wie maschinenmontagepläne, unter verwendung erprobter serienbauteile im großen maßstab vor inangriffnahme des baues durchgearbeitet werden.

  11. ausschaltung der zahlreichen überraschungen und unvermeidbaren zufälligkeiten der alten baumethode: nichtpassen der einbauteile durch unexakte mauermaße oder durch einfluß der baufeuchtigkeit, unvorhergesehene tagelohnarbeiten, zeit- und zinsverlust durch verzögerte austrocknung und die folgen der meist überstürzten planung der hausentwürfe "nach maß" statt dessen: unabhängigkeit, sicheres ineinanderpassen der maschinell gearbeiteten bauteile, fester preis und kurze, festbestimmbare bauzeit unter garantie.

  12. vereinigung größtmöglicher variabilität mit größtmöglicher typisierung, dadurch, daß nicht die ganzen häuser, sondern nur ihre teile typisiert werden, aus denen sich verschiedene baueinheiten zusammensetzen lassen.

  13. weitsichtige finanzpolitik der baugelder, die die zinsverteuerung der baugelder durch unproduktive zwischenstellen vermeiden.

In den folgenden Jahren entstanden dann eine Reihe von Gebäuden aus industriell vorgefertigten Teilen, wobei mit unterschiedlichen Materialien experimentiert wurde. Als Beispiele sind das Musterhaus von Walter Gropius in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart (1925, Asbestschieferplatten), das Thermoshaus von Johannes Göderitz (1888-1978) in Magdeburg (1927, Eternitplatten) und das Stahlhaus von Georg Muche und Richard Paulick in Dessau-Törten (1926/27, Stahlplatten) zu nennen. 

Georg Muche (1895-1987)

Muche wurde am 8. Mai 1895 in Querfurt geboren. Er studierte von 1913 bis 1914 in München und übersiedelte 1915 nach Berlin, wo er sich der Künstlergruppe "Der Sturm" anschloß. Hauptsächlich beschäftigte er sich dort mit der Malerei. Von 1920-27 war er am Bauhaus in Weimar und Dessau als Lehrer tätig. 1927 übersiedelte Muche nach Berlin und übernahm dort eine Tätigkeit als Lehrer an der Kunstschule von Johannes Itten. Von 1930 bis 1933 arbeitete er als Professor an der Breslauer Akademie. 1933 erhielt er dort die fristlose Kündigung und zog zurück nach Berlin um an der Reimann-Schule zu unterrichten. Von 1939 bis 1958 leitete er eine Meisterklasse für Textilkunst an der Ingenieurschule in Krefeld. Von 1960 bis zu seinem Tod am 26. März 1987 lebte Muche in Lindau am Bodensee. Dort arbeitete er als freier Maler und Graphiker.

Richard Paulick (1903-1979)

Paulick wurde am 7. November 1903 in Roßlau geboren. Nach Abschluß einer Maurerausbildung studierte er von 1923-27 Architektur in Dresden und Berlin. Bis 1930 arbeitete er dann als Mitarbeiter von Walter Gropius am Dessauer Bauhaus und machte sich anschließend in Berlin selbstständig. Aufgrund seiner politischen Tätigkeit für den Sozialismus war Paulick 1933 zur Emigration gezwungen. Er übersiedelte nach Shanghai, wo er bis 1950 tätig war. In diesem Jahr übernahm er eine Tätigkeit in Berlin (Ost) als Abteilungsleiter im Institut für Bauwesen, später in der Deutschen Bauakademie. Er leitete dort u.a. den Wiederaufbau der Deutschen Staatsoper und entwarf die Blöcke C-Nord und C-Süd der Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee). Paulick starb am 4. März 1979 in Berlin.

Das Dessauer Stahlhaus entstand zwischen November 1926 und dem Frühjahr 1927 am Rand der Siedlung Törten. Die Konstruktion besteht aus einem montierten Stahlskelett aus Doppel-T-Profilen, das außen mit 3mm starken Stahlplatten verkleidet ist. Nach innen folgt eine Luftschicht von 6cm und eine innere Hintermauerung mit 2cm Torfoleum-Dämmplatten und 5cm Schlackensteinen. Auf die Schlackenstein sind tapezierte Gipskartonplatten aufgebracht. Das Dach besteht aus Zementdielen. Die Raumaufteilung umfaßt einen Wohnraum und drei Schlafräume, Wohnküche, Bad und Waschküche, Abstellraum und WC.

Schon nach wenigen Jahren zeigten sich Nachteile der Konstruktion. Im Sommer waren die Wohnräume zu heiß und im Winter zu kalt. Starke Korrosion und eindringende Feuchtigkeit zeigten sich. Zur Behebung dieser Probleme hintermauerte man die Stahlwände mit Ziegeln und setze hinter die äußeren Stahlfenster Holzfenster in gleicher Größe.

Eine größere Instandsetzung erlebte das Stahlhaus 1976, bei der Paulick beratend tätig war. Im Jahr 1993 erfolgte dann eine umfangreiche Restauration des Hauses, bei der der Originalzustand weitestgehend wiederhergestellt wurde. Heute dient das Haus als Ausstellungs- und Beratungszentrum der Dessauer Bauhausstiftung.

Briefmarke der Deutschen Post der DDR mit dem Stahlhaus als Motiv. 

Ausgabetag war der 27. Mai 1980. Entwurf Lothar Grünewald, Halle.

Original Sammlung: Joachim Fricke

 


Quellen:

Droste: Bauhaus 1919-1933, Köln 1998

Engelmann / Schädlich: Die Bauhausbauten in Dessau, Berlin 1998

Gössel / Leuthäuser: Architektur des 20. Jahrhunderts, Köln 1990

Probst / Schädlich: Walter Gropius - Ausgewählte Schriften, Berlin 1988


© Joachim Fricke 2004 / 2015