Karl Reinecke: Glückauf, Alter Mann!


 

Karl Reinecke (1885 - 1943)

Karl Reinecke wurde am 6. Dezember 1885 in Altenau im Oberharz geboren, wo er auch seine Jugend verbrachte. Von 1900 bis 1906 absolvierte er eine Ausbildung zum Volksschullehrer in Alfeld. Nach der Ausbildung arbeitete er zwei Jahre in diesem Beruf in Clausthal und besuchte anschließend die Königliche Kunstschule in Berlin. Von 1912 bis 1932 lehrte er Kunsterziehung an einem Gymnasium in Linden bei Hannover. Ab 1932 arbeitete er als freier Künstler in seiner Heimat Altenau. Neben Ölgemälden, Zeichnungen und Wandmalereien schuf  er Heimatschriften und Gedichte auch in der Harzer Mundart. Bekannt ist sein Wandgemälde in der Lohnhalle des Bergwerks Rammelsberg in Goslar, welches 1936 entstand. Sein einziger vollendeter Roman "Die reiche Barbara" erschien 1937. Von 1920 bis 1932 übernahm Reinecke die Schriftleitung des Allgemeinen Harz-Berg-Kalenders. Karl Reinecke verstarb am 30. März 1943 in Nauheim. Er ist in seinem Heimatort Altenau beigesetzt.

Der folende Text ist dem Buch "Harzheimat" von Karl Reinecke aus dem Jahr 1924 entnommen. Die eingefügten Bilder wurden von J. Fricke aufgenommen.


Glückauf, Alter Mann!

Um die Bergstadt verstreut liegen seltsame Gesteinshalden. Auf den Wiesen einzelne, die meisten im Walde versteckt. Es sind die letzten Reste uralter Gruben.

Der Fremdling übersieht sie zumeist. Selten, daß sich einer wundert, woher so unvermittelt an einer Waldlehne oder einem Wiesenhang ein ebener Plan entsteht, der aus dem Berg herauszukommen scheint, sich vorschiebt und wieder jäh in den Hang hinabstürzt. Der Bergmensch aber weiß, daß er hier auf einem Stücklein Boden steht, das durch die Arbeit der Väter geheiligt ist. Vor langen Jahren haben sie hier nach Silber und Blei geschürft. Hoffnungsvolle Namen gaben sie ihren Gruben. Aber diese erwiesen sich nicht alle Zeit als Goldene Rose oder Schatzkammer, waren nicht immer Silberlilie und Treuer Friedrich; blinkten auch nicht auf die Dauer wie eine Engelskrone oder der Morgenstern. Und die Gnade Gottes und Gottes Segen waren ihnen nicht allen beschieden. Nicht überall lohnte die Ausbeute. Die Zubuße war größer denn der Gewinn. Dann versuchten die Alten ihr Glück an anderer Stelle. Das Gebirge reichte weit. Erz wuchs in jedem Berg. Sie gruben in den Oberschichten des Gesteins. Sie stiegen viele Lachter tief in die Erde hinab. - Alle diese Gruben sind vergessen. In den Chroniken des Harzheimatlandes heißen sie in ihrer Gesamtheit der Alte Mann.

Halde der Grube St. Jacob in Lautenthal.

Der Alte Mann waren auch die ersten Bergknappen, die die Hoffnung auf blinkenden Segen in die Harzberge lockte. Sie brachten ein regsames Getriebe in den stillen Wald Hercynia. Der Schwarze Tod entriß ihnen Schlägel und Eisen. Krieg und Not verschütteten die Gruben.

Die nachfolgenden Geschlechter gingen mit frischem Hoffen ans Werk. Sie gruben, wurden fündig, teuften ab und begruben wieder. Manche leuchtende Silberader schlug man an. Viele blanke Taler wurden geprägt, von denen Seine Hochfürstliche Gnaden, der Herzog von Braunschweig und Lüneburg, den Zehnten in sein Säckel taten. Dann traf man beim Weiterbauen auf taubes Gestein. Oder Wasser und Widerwertigkeiten geboten Feierabend. Die Gewerkschaft nahm ihr Gezäh und wanderte weiter. Die alten Gruben blieben vergessen liegen. So liegen sie heute noch. Stollen und Schächte stürzten ein. Das wertlose Gestein aber, das aus ihnen zu Tage gefördert wurde, lagert an der alten Stätte wie ehedem.

Mundloch des Schultestollen nahe dem Wiemansbucht Schacht bei Bad Grund.

Jahrhunderte sind seither über die Halden hinweggegangen. Moos und Gras haben sie zugedeckt. Wälder wuchsen darauf. Wälder wurden gefällt und wuchsen wieder. Und von den Menschen, die einst diese "Hallen" aufstürzten, blieb im Harzheimatland nichts als ihre Sprache, die hart ist wie Fäustelschlag. Und eins noch hinterließen sie: Den Mut eines zähen Tiefenbezwingertums. Ihre Nachfahren sind ein furchtloses Bergmannsgeschlecht geblieben, das stolz ist auf einen Beruf, der geliebt und verstanden sein will und von dem sie singen:

Gott hat uns einst die Gnad´gegeben, 

Daß wir vom edlen Bergwerk leben....

Wenn ich auf verfallener Halle stehe, beginnt alte Zeit zu erzählen. Dort muss der Stollen gewesen sein. Eine verwaschene Runse am Hang, die unvermittelt abbricht. Die Schachtstangen, die ihn einst stützten, sind morsch zusammengeknickt und vergangen. Das Erdreich stürzte nach. Das Loch im Berg tat sich zu. Das Stollenwässerchen suchte sich einen Weg und blieb als Bergquell zurück. Über die Runse wuchs Moos. Fichtennadeln stäubten hernieder. Rippenfahrn und Weidenröschen siedelten sich an. Wind wehte Tannenzapfensamen herbei. Lustig sproß ein Fichtenhorst empor und überdeckte das bloßliegende Gestein. Die schartige Wunde am Berg verheilte zur Narbe. Und über den Steinhalden wuchs der Wald. Moos und Tannennadeln wieder polsterten das Gerümpel aus. Fichten krallten ihr Wurzeln tief hinein. Wo am Steilhang der Halle ein Regensturz das neue Erdreich wegwusch oder ein Hirsch seine Fährte durch die Oberschicht drückte, schimmern graue und weiße Steine her. Das Berg, heißt es der Bergmann. Kalkspat, Schieferspat sagt der Gelehrte. Die Bergkinder aber suchen an solchen Stellen nach einem Glänzlein Kupferkies oder Zinkblende und sind glücklich "Goldsteine" gefunden zu haben.

Der Ottiliae-Schacht bei Clausthal-Zellerfeld.

Um die Halden schleicht der Fuchs. Über Pfifferlingen und Reizkern wölben sich Fichten. Junge, in denen das Rotkehlchen singt, alte, in deren Zweiggewirr Eichhörnchen hupfen. Die Arbeit des Alten Mannes hat ein Waldidyll übersponnen.

Manchmal streicht in dunklen Nächten der Bergmönch hier vorbei. Sein silbernes Geleucht blitzt durch das Holz. Am St. Barbaratage aber läutet heimlich dort ein Schachtglöcklein. Wer Märchenohren hat, der hört es...

So oft ich an solcher Stätte weile, muß ich still sein. Mir ist, als täte sich der Berg auf. Weit hinten im schwarzen Loch des Stollens sehe ich Grubenlichter flackern. Hämmer sausen auf Handbohrer hinab. Eisen klingt auf Eisen den harten Takt der Arbeit vor Ort. Spitzhacken knirschen sich in das Gestein. Polternd gehen felsige Wände nieder. An den Seiten des Stollens sickert Wasser herab, perlt in fliegenden Silbertropfen von der Decke und kommt als Bächlein zu Tage. Auf der Stollensohle bilden Bretter einen ebenen Weg. Schiebkarren rollen darauf aus der Tiefe hervor. Urväter begrüßen mich mit geisterhaftem Glückauf. Auf Schachthut und Hinterleder und Grubenkittel klebt feuchter Schmutz. Sie schieben den schweren Karren auf die Halde hinaus. Bollernd stürzt das Gestein den Hang hinab......

Glückauf, Alter Mann!

Deine Hände sind voll Schwielen. Der Berg hat dich bleich gemacht. Deine Augen blicken ernst. Harte Arbeit grub harte Falten in Dein Gesicht. Bergmannsarbeit ist immer Last gewesen. Dem Knappen von heute hat die Neuzeit hilfreiche Handhaben gegeben. Ihr jedoch waret auf euch selbst gestellt. Ihr wußtet nichts von Bohrmaschinen und Preßluft. Jedes Loch in Felsenwand mußte die Eisenkraft eurer Hände und Arme ertrotzen. Euch trug keine Fahrkunst hinab in Schachtes Tiefen. Für Euch gab es nur den Sprossenweg der Leiter, die Fahrt, auf denen eure müden Beine aufwärts und abwärts stiegen viele Lachter. Euer Beutelchen Schwarzpulver war schwach. Es sorgte dafür, daß der Arbeit genug übrig blieb. Dynamit und Donarit schaffen euren Nachfahren reinere Tafel. Und was ihr fördertet, nahm euch keine leicht dahingleitende Feldbahn ab. Euch blieb nichts als das Sielen über die Schulter zu schlagen und den Karren in die Hand zu nehmen oder die Faust um den Griff des Göpels zu spannen, der ächzend den Erzeimer emporwand. Kein Fördersein, bewegt durch die Kraft einer Maschine und gebändigt durch einen Hebeldruck , glitt hinab in die Tiefe. Unten glühte kein elektrischer Faden. Kein Karbidlicht warf grellen Schein auf marmorne Erzadern. Zu eurer Arbeit leuchtete nichts als das schwelende Flämmchen eurer Anschlittlampe. Das armselige Geleucht ist ein Bild eures Lebens gewesen.

Fördergerüst des Meding Schachts.

Nun seid ihr lange eingefahren zur letzten Schicht. Ob ihr den Bergmannstod starbt tief unter der Erd´ und man euch im weißen Sarg nach Hause trugt, ob eure bergsüchtige Lunge auf dem Strohsack verröchelte, - wer weiß, wo ihr euren Feierabend fandet. Über eure Schächte ging die Zeit. Erde deckt Mühsahl und Last. Erde deckt alles Hoffen auf Goldene Rose und Silberlilie.

Grabstein auf dem Bergmannsfriedhof Friedrichssegen.

Aber die Gnade Gottes mag mit euch sein. Und der Morgenstern möge euch leuchten wie ein gleißender Anbruch im Schacht.

Reicht mir die Schwielenfaust: 

Glückauf, Alter Mann! 

Mein Gruß ist Hochachtung und Erfurcht.


Quelle:

Pflaumann: Karl Reinecke und sein Altenau, aus "Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 2003, Clausthal-Zellerfeld 2002

Reinecke-Altenau: Harzheimat, Goslar 1924


 

© Joachim Fricke 2020